NACHHALTIGKEIT IM STALL

BIO- Lebenseinstellung, Lifestyle und Kindheitserinnerung

UND VIEL MEHR ALS DAS!

Lena und ich wurden 1990 eingeschult und zwar in der Freien Waldorfschule am Illerblick in Ulm. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts gab es in Ulm genau einen Bioladen. Der verkaufte verschrumpelte Äpfel und Mandarinen, unansehnliche Backwaren ohne Zucker und eine Nutella-Alternative namens Simsalabim. Eltern, die ihre Kinder zu dieser Zeit in die Waldorfschule schickten, trugen weite Leinenhosen, mit Rotebeetefarbstoff gebatikte wallende Röcke, bunte selbstgestrickte Socken und aus unbehandelter Schafwolle gefilzte Hüte. Und sie kauften ihre Lebensmittel im Bioladen ein. Auf der Milch schwamm Daumendick die Sahne, der Zucker war braun und roch nach Brühe und die Dinkelbratlinge mit Wirsing fuhren einem noch tagelang im Magen herum. 

Warum ich das erzähle? Weil Lena und ich mit Bio aufgewachsen sind. Und zwar als Bio noch was für Außenseiter war, unglamourös und erdig. 

Schon damals setzte sich dieses, nach feuchter Wolle riechendes, Grüppchen für die Themen ein, für die heute die „fridays for future“-Bewegung auf die Straße geht. Diese Menschen wählten damals schon Grün, waren Mitglied bei Greenpeace und fuhren mit dem Fahrrad ihre Kinder in die Schule. 

Lena und ich kommen daher. Wir sind mit Bio- und Demetersiegeln auf Lebensmitteln und Kleidung vertraut. 

Aber für viele Menschen in unserem Umfeld sind diese Themen, auch 20 Jahre nach Einführung des sechseckigen, grün-schwarz-weißen Biosiegels, neu und unbekannt. 

Warum Bio? Was heißt das eigentlich und warum halten wir es für besser als konventionell hergestellte Lebensmittel? 

Wer seine Lebensmittel oder landwirtschaftlichen Erzeugnisse als „bio“ oder öko“ mit dem Bio-Siegel kennzeichnen will, muss sich an die Kriterien der EG-Öko-Verordnung halten. Neben dem Bio-Siegel gibt es weitere Güte- und Prüfsiegel, wie das Naturland-Siegel, das Bioland-Siegel und das älteste, 1932 in München gegründete, Demeter-Siegel. Alle bestimmen einen gewissen Standard für ökologische Landwirtschaft und Produktion und artgerechte Tierhaltung.

Aber was bedeutet das genau, wenn auf den Lebensmitteln, die wir kaufen, ein Bio-Siegel aufgedruckt ist? 

Ökologischer Landbau steht für Nachhaltigkeit, für Bodenschutz, Artenschutz, Tierschutz und Gewässerschutz. 

Es geht um die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch abwechslungsreiche Bepflanzung von weniger anfälligen Nutzpflanzen und Einhaltung von geeigneten Fruchtfolgen. So können Schädlinge und Unkräuter auf natürlichem Wege reguliert werden und dem Erdboden werden nicht einseitig Nährstoffe entzogen.

Die Verwendung leicht löslicher mineralischer Düngemittel ist nicht erlaubt, stattdessen kommen Mist, Kompost und Gründüngung zum Einsatz.   

Zum Schutz der Pflanzen wird gehackt und abgeflammt statt des Einsatzes chemisch-synthetischer Mittel. 

Es geht um einen möglichst geschlossenen Nährstoffkreislauf. Das heißt übersetzt beispielsweise, dass ein Betrieb das Futter für seine Tiere selbst anbaut und verfüttert und wenig bis gar nichts zukaufen muss. Um die Felder zu düngen, wird der hofeigene Mist ausgebracht. 

Es geht um Tierschutz durch artgerechte Tierhaltung. Das bedeutet, begrenzte, an die Fläche gebundene Viehhaltung und grundsätzlicher Verzicht auf Antibiotika. 

Ich erinnere mich an mein Landbaupraktikum in der 9. Klasse. Das waren sechs Wochen Aufenthalt auf einem Biobauernhof im Frühjahr 2000. Ich fuhr zwei Tage vor meinem 16. Geburtstag bepackt mit Gummistiefeln und einer Regenjacke auf das Hofgut Neubronn zu Nina und René. Ein altes Bauernhaus, eingebettet in einen Staudengarten, am Fuße des Landschlösschens Neubronn im Neu-Ulmer Umland. Es gab Hühner, Schafe, zwei Pferde, Meerschweinchen, Katzen und einen großen schwarzen Hofhund namens Chayenne. Es gab einen von Nina gutsortierten Hofladen, zwei große Kühlkammern, den ehemaligen Kuhstall voller Gerätschaften und einen uralten roten Traktor. Vor dem Haus stand eine grüne Bank, die einlud, es sich gemütlich zu machen und einen Cappuccino zu trinken. Idyllisch. 

Es war hart für mich als verwöhntes Stadtkind. Früh aufstehen, Arbeitsklamotten und Handschuhe anziehen und dann raus aufs Feld von Hand Zwiebeln stecken, Reihe für Reihe auf den Knien bis zum Mittagessen. Kilometer weit Rasenmähen, Salatpflänzchen pflanzen, die Reihen des Karottenackers jäten, Gemüsekisten packen, Kartoffeln sortieren usw. Und das Tag für Tag, egal, ob es geregnet hat oder nicht. 

Ich dachte mir damals: Warum machen die zwei das? Das ist doch so anstrengend.

Aber es war auch schön. Die Hühner, deren Eier wir jeden Morgen einsammelten, lebten auf einer riesigen Wiese und wurden abends in ein kleines Holzhäuschen „ins Bett“ gebracht. Da saßen sie dann aufgereiht auf ihren Stangen und waren sicher vor dem Fuchs. Ein schönes Hühnerleben, auch wenn es später vielleicht in einem Topf endete.

Viele Stunden verbrachte ich mit René auf dem Traktor, wir fuhren die Felder ab und legten sogenannte Blühstreifen an. Das sind ca. ein Meter breite Streifen am Ackerrand, die mit ein- oder mehrjährigen Blumen bepflanzt werden, um die Biodiversität zu fördern. In ihnen leben eine Menge häufige, aber auch seltene Insekten, unter anderem auch die für die Landwirtschaft als Bestäuber ökonomisch nützliche Honig- und Wildbiene. In Feldern mit Blühstreifen gibt es weniger Schädlingsbefall, da man davon ausgeht, dass sie mehr natürliche Feinde (Nützlinge) haben als in Feldern ohne Blühstreifen. Und mal abgesehen von all dem Nutzen, sieht es einfach wunderschön aus und lädt den ein oder anderen Spaziergänger dazu ein, ein Sträußchen zu pflücken. 

Wir redeten viel über diese Art von Landwirtschaft im Einklang mit der Natur, wie es so schön heißt, und ich hörte zu und lernte viel. 

Wir Menschen haben die Verantwortung für die Natur in und von der wir leben und wir müssen sie für zukünftige Generationen erhalten und bewahren. 

Seit ich zwei Kinder habe, denke ich noch mal ganz anders über die Zukunft unseres Planeten nach. Ich befürchte, dass wir die erste Elterngeneration sind, die nicht glaubt, dass ihre Kinder in einer besseren Welt aufwachsen werden als sie selbst. Das Weltwirtschaftsforum WEF betont im neuen Weltrisikobericht, dass der Klimawandel die größte Herausforderung der Menschheit geblieben ist. Wir müssen was ändern! Da gibt es keine zwei Meinungen!! 

Mitte 2019 kaufte ich mir mein erstes eigenes Pferd. Und wie für meine Familie und mich will ich nur das Beste für dieses wunderbare große weiße Tier. Der Weg zum Stall führt über den Zubringer zum Industriegebiet im Ulmer Donautal, wo auch der Schlachthof ist. Oftmals stehe ich an der Ampel neben einem Lastwagen voller Schweine. Sie strecken ihre rosa Steckdosennasen durch die engen Gitter und quietschen ganz jämmerlich um Hilfe. Es berührt mein Herz, wenn ich das sehe, und ich frage mich: Wo ist denn der Unterschied zwischen den Pferden in meinem Stall und diesen Schweinen? Ich meine von der Wertigkeit? Dem einen lege ich abends eine Decke aus Bio-Baumwolle auf und koche Mash mit geraspelten Birnen und diese intelligenten Geschöpfe pferche ich in einen Transporter und schicke sie auf unwürdigste Weise in den Tod. Nicht ich persönlich, das ist klar. Aber sobald ich Fleisch aus Massentierhaltung kaufe und esse, bin ich an diesem Prozess beteiligt. 

Ich möchte am Schreddern von männlichen Küken, an Legehennenbatterien, an Schweine- und Rindermast usw. nicht beteiligt sein! Darum habe ich mich entschieden, erstens weniger Fleisch zu essen und zweitens nur noch Fleisch von Tieren, die auch an die frische Luft oder auf der Weide waren. 

Ich finde nämlich, dass alle Tiere gleich viel Wert sind und dass wir sie mit Respekt und Anstand behandeln müssen!

In einem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb züchtet eine Landwirtfamilie Schwäbisch-Hällische –Landschweine. Auf ihrer Internetseite werben sie damit, dass ihre Ferkel in einem geräumigen Stall stressfrei, ohne den Einsatz von Antibiotika aufwachsen. Die Sonnenschweine, wie sie auf der Homepage genannt werden, leben auf einer über 3 Hektar großen Weide und können von Frühjahr bis Herbst dort besucht werden. Keines dieser Schweine wird in einem der oben genannten Lastwagen transportiert und sie fressen nur das selbstangebaute Getreide aus integriertem Anbau. So geht es auch! Da kaufe ich mit gutem Gefühl mal ein paar Schnitzel. 

Oder die Landwirtsfamilie, bei der Lena und ich schon als Kinder bei der Getreideernte geholfen haben. Die glücklichen Hühner, die dort Eier legen, haben viel Platz im Stall, einen Auslauf für schlechtes Wetter und eine Wiese, um zu scharren und zu picken. Da schmeckt das Rührei am Sonntag gleich viel besser. 

Auf der Website von Bioland finde ich folgendes zum Thema Tierwohl, das mir sehr gefällt: 

Kühe gehören auf die Weide, so oft es geht! Im Stall brauchen sie ausreichend Platz, um sich hinzulegen, so haben sie weniger Stress und es gibt weniger Streit. Am besten werden sie mit betriebseigenem gesunden und natürlichem Futter gefüttert. Das sorgt für gute Milch- und Fleischqualität. 

Schweine sind viel schlauer, als man gemeinhin annimmt. Außerdem sind sie sehr reinlich. Die neugierigen, verspielten Tiere brauchen viel Auslauf im Freien und Stroh zum Spielen und Wühlen. Außerdem brauchen die Allesfresser vielfältiges und abwechslungsreiches Futter.

Glücklichen Hühnern werden weder Schnäbel noch Krallen gestutzt. Sie leben in kleinen Herden mit viel Platz zum scharren, picken und staubbaden. 

Auch das, was zur Haltung von Schafen, Ziegen und Hasen steht, überzeugt mich. 

Wer sich dafür entscheide, kein Fleisch mehr zu essen, macht alles richtig. Ich persönlich kann darauf nicht ganz verzichten, aber ich kann bewusster konsumieren und darauf achten, dass das Fleisch, das ich esse, aus Weide- bzw. Freilandhaltung kommt.

Und es passiert etwas! Unsere Landwirtschaftsministerin hat entschieden, dass das Töten von männlichen Küken nach den Schlüpfen ethisch nicht vertretbar ist. Darum hat Deutschland als Vorreiter in Europa ein Gesetz zum Verbot des Kükentötens erlassen, das ab Ende 2021 gelten soll. Männliche Küken werden in Zukunft für die Fleischgewinnung mit aufgezogen bzw. schon im Ei aussortiert. Mittels „in-ovo-Geschlechtsbestimmung“, ein gefördertes Verfahren des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft BMEL, werden „männliche“ Eier gar nicht ausgebrütet. 

Der Konsument bestimmt das Angebot. Wenn wir alle nur noch Eier und Hühnerfleisch aus Freilandhaltung kaufen, wird es bald keine Legehennenbatterien und Massentierhaltung mehr geben! 

Wenn meine Tochter eine Mandarine schält oder herzhaft in einen Apfel beißt, dann bin ich froh, dass sie den Mund und die Hände nicht voll mit irgendwelchen Chemikalien hat. Ich kaufe Bio-Obst und Gemüse, auch wenn die Früchte manchmal Macken und Stellen haben und der Salat ein bisschen sandiger ist oder ein paar Läuse mehr hat. Wasche ich ihn eben zweimal. 

Aber es geht auch um das große Ganze. Also um den Schutz des Bodens und des Wassers, darum, dass es in ein paar Jahren noch Bienen und Insekten hier hat und Singvögel, die einen im Frühling bei Sonnenaufgang wecken. 

Wenn ich bei meinem Pferd bin, im Stall, wo es nach Heu und Mist duftet, an der frischen Luft, wenn das Gras im Sommer frühmorgens noch feucht ist vom Tau oder im Herbst, wenn die Stoppelfelder in der Abendsonne leuchten, dann weiß ich, dass Naturschutz unumgänglich ist. Es gibt keinen anderen Weg. 

Beim Einkaufen im Supermarkt bleibt meine Tochter vor den Erdbeeren im Kühlregal stehen. Sie nimmt ein Schälchen heraus und will es in den Einkaufswagen legen. Lecker Erdbeeren. Ich höre die Stimme meiner Mutter, die zu mir sagt: Erdbeeren gibt es jetzt nicht. Aber sie sind doch da, sie liegen da rot glänzend in den Papierschälchen und lachen mich an. Sie meint damit die Jahreszeit. Erdbeeren sind bei uns in Süddeutschland im Juni reif. Dann kann man sie auf dem Markt frisch gepflückt kaufen und sie wachsen auch im eigenen Garten. Wer frische Erdbeeren erntet, weiß, wie herrlich sie duften, wie süß sie schmecken und wie kurz sie nur haltbar sind. Komisch, dass die Erdbeeren, die es im Januar im Supermarkt gibt, tagelang ihren Zustand nicht verändern. Da höre ich wieder die Stimme meiner Mutter, die sagt: Was glaubst du, wie stark die behandelt sind, damit die so schön aussehen? 

Es geht nicht nur darum, welche Lebensmittel man kauft, sondern auch wann. Bei uns im Supermarkt ist so gut wie alles immer verfügbar. Aber nur wenn Obst und Gemüse bei uns frisch geerntet werden, haben sie keine langen Transportstrecken hinter sich, müssen nicht lange haltbar gemacht werden und schmecken dementsprechend besser. Saisonal und regional kaufen geht am besten mit einem Saisonkalender für Obst und Gemüse. An den Kühlschrank gehängt und schon kann man schnell nachschauen, wenn man sich nicht mehr sicher ist, ob die Stangenbohnen, die man auf dem Markt gesehen hat, schon Saison haben. 

Auf der Homepage von Demeter finde ich die strengen biodynamischen Richtlinien, die auf Rudolf Steiner im Jahr 1924 zurückgehen. Die Demeter-Mitglieder werben damit, dass sie erheblich mehr leisten als die Mindeststandards des EU-Bio-Siegels. Die Anforderungen sind hoch und bestimmt nicht für jeden sofort erfüllbar. 

Ich glaube, es ist wichtig, bei sich selbst anzufangen und wenn es die Biokarotten beim Discounter sind. Manchmal ist das ja auch eine Frage des Geldbeutels. 

Der Schimmel ist mein erstes eigenes Tier. Und wie ihr wisst, ist er nicht mehr der Jüngste. Dennoch hoffe ich, dass uns noch viel gemeinsame Zeit bleibt. Darum kommt auch er in den Genuss einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung. Soweit ich das beeinflussen kann, da er in einem Einstellerstall steht. 

Frische Birnen und Äpfel, am liebsten aus meinem Garten, Bio-Karotten vom Wochenmarkt, Bio-Leckerlie aus unserem Shop immer wieder einen Birkenast zum Kauen und im Sommer viel Zeit auf der Wiese. 

Nie fühle ich mich so naturverbunden wie auf dem Rücken dieses großen weißen Pferdes. Und nie wird mir bewusster, wie an der Zeit es ist etwas zu ändern. Für uns, unsere Kinder und aus Liebe zum Pferd und zur Umwelt! 


Werbung (unbezahlt, Verlinkungen)

You Might Also Like...

No Comments

    Leave a Reply